Gewässermorphologie

Die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union (WRRL) verlangt eine ganzheitliche Gewässerschutzpolitik, welche die ökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer unter Einbeziehung der Gewässermorphologie, also der Struktur der Gewässer, zugrunde legt. Als Morphologie werden „sämtliche räumlichen und materiellen Differenzierungen des Gewässerbettes und seines Umfeldes verstanden, soweit sie hydraulisch, gewässermorphologisch und hydrobiologisch wirksam und für die ökologischen Funktionen des Gewässers und der Aue von Bedeutung sind. Die einzelnen Strukturkomponenten können natürlicherweise entstanden, anthropogen geschaffen oder initiiert worden sein“.

Die Gewässerstruktur umfasst also alle natürlichen und künstlichen Strukturen der Gewässersohle, der Ufer und der Aue, die die Lebensbedingungen am und im Fließgewässer prägen. Sie stellt ein zentrales Themenfeld der „Hydromorphologie“ dar, welche sich mit der Gestalt und Entwicklung von Gewässern und Auen im Zusammenspiel mit Sediment- und Wasserbewegungen befasst und somit morphologische Prozesse wie Erosions-, Transport- und Sedimentationsprozesse betrachtet. Bei der Umsetzung der WRRL stellt die Gewässerstruktur neben den beiden Komponenten Wasserhaushalt und Durchgängigkeit eine der drei unterstützenden Komponenten für die biologischen Qualitätskomponenten zur Erreichung des guten ökologischen Zustandes bzw. des guten ökologischen Potenzials dar.

Viele Gewässer sind durch anthropogene Eingriffe überprägt und weisen eine von den Referenzbedingungen abweichende Gewässerstruktur auf. Verschiedene Nutzungskomponenten (z. B. Wasserkraft, Hochwasserschutz, Schifffahrt) beeinträchtigen die Gewässerstruktur oftmals auf unterschiedliche Art und Weise, sei es durch die Begradigung und den Ausbau von Gewässern, die Entfernung von typischen Auestrukturen und die Nutzung der Aue bis an den Gewässerrand oder die Einschränkung der Durchgängigkeit durch die Anlage von Wehren und Staustufen zur Abflussregulierung und Energiegewinnung.

Das Ziel im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie ist es, die Gewässerstruktur flächendeckend in einen möglichst natürlichen Zustand zurückzuführen. Naturnahe Gewässerstrukturen sind wichtige Voraussetzungen für abwechslungsreiche und vielfältige Lebensräume und damit für naturraumtypische Pflanzen und Tiere. Sie kann darüber hinaus auch die chemisch-physikalische Beschaffenheit eines Gewässers beeinflussen.

Eine deutliche Verbesserung der Gewässerstruktur fördert aber nicht nur die Besiedlung von Fließgewässern mit aquatischen Organismen. Sie hilft auch, die Schadwirkungen von Hochwassern zu mindern, da sich das Hochwasser in den naturnahen Auen ausbreiten kann. Dadurch werden Abflussspitzen und Überschwemmungen in Siedlungsgebieten deutlich reduziert. Insofern sind Erhebung und Darstellung der Gewässerstruktur ein wesentlicher Baustein für die Bewirtschaftungsplanung von Flusseinzugsgebieten in Nordrhein-Westfalen.

Die Kartierung der Gewässerstruktur und die Erfassung von Bauwerken in und an Fließgewässern erfolgt von der Mündung bis zur Quelle, wobei das Gewässer in Abhängigkeit der Sohlbreite in 100 m, 500 m oder 1000 m -Abschnitte unterteilt wird. Für jeden Abschnitt wird eine Bewertung der Gewässerstruktur anhand eines fest vorgegebenen Systems von 31 Einzelparametern, die die ökologischen Funktionen eines Fließgewässers beschreiben (z.B. Laufkrümmung, Tiefenvarianz, Sohlsubstrat, Uferbewuchs, Flächennutzung etc.) durchgeführt (siehe LANUV-Arbeitsblatt 18).

Aus den Erhebungen der Einzelparameter lassen sich Bewertungen für sechs Hauptparameter (Laufentwicklung, Längsprofil, Sohlstruktur, Querprofil, Uferstruktur und Umfeld) berechnen und weiter zu einer Gesamtbewertung für den betrachteten Kartierabschnitt aggregieren. Die Bewertung erfolgt in einer siebenstufigen Skala. Sie bewertet die Abweichung des Ist-Zustandes eines Gewässerabschnittes von dem so genannten "Leitbild". Dabei handelt es sich um den Zustand, der sich nach Aufgabe vorhandener Nutzungen in und am Gewässer und seiner Aue sowie nach Rückbau sämtlicher Verbauungen einstellen würde. Es beschreibt den heutigen potenziell natürlichen Gewässerzustand (hpnG), welcher auch irreversible anthropogene Veränderungen des Gewässerökosystems einschließt. Die beste Bewertung (unverändert Strukturklasse 1) ist an diesem Leitbild, welches die höchste Wertstufe bezeichnet, ausgerichtet.

Der Beschreibung des Leitbildes liegt der morphologische Fließgewässertyp zugrunde (LANUV-Arbeitsblatt 25). Er kann der aktuellen Fließgewässertypenkarte NRW (siehe ELWAS-WEB) entnommen werden. Während der Gewässerstrukturkartierung werden Bauwerke gemäß dem LANUV-Arbeitsblatt 38 erfasst. Weiterführende Informationen zur Erfassungs- und Bewertungsmethodik finden sich unter: https://www.flussgebiete.nrw.de/node/697

Die Gewässerstrukturkarte zeigt, dass viele Gewässer durch Ausbaumaßnahmen und Nutzungen in der Vergangenheit mehr oder weniger stark verändert wurden. Sie sind durch die Farben Gelb (stark verändert), Orange (sehr stark verändert) oder Rot (vollständig verändert) gekennzeichnet. Daneben gibt es aber auch Gewässer bzw. Gewässerabschnitte, die gegenüber dem Leitbild nur mäßig (Grün) bzw. gering (Blau) verändert sind und sich damit unter hydromorphologischen Gesichtspunkten in einem "guten" bis "sehr guten" Zustand befinden. Diese Gewässer gilt es besonders zu schützen.

2013
(~ 13500 km
bewertet)
Struktur-
klasse
Grad der BeeinträchtigungKartendarstellung
1,4 %1.Unverändertdunkelblau
5,0 %2.Gering veränderthellbau
11,9 %3.Mäßig verändertdunkelgrün
15,0 %4.Deutlich veränderthellgrün
25,0 %5.Stark verändertgelb
26,7 %6.Sehr stark verändertorange
15,0 %7.Vollständig verändertrot

Auswertung der Fließgewässerstruktur in NRW nach Längenanteilen pro Strukturklasse (vorläufige Ergebnisse der beauftragten Erhebungen)

Die Karte zur Gewässerstruktur gibt Hinweise auf lokale strukturelle Defizite der Fließgewässermorphologie. Doch auch in stark veränderten Gewässern, die in der Karte orange bis rot dargestellt sind, kann es noch aquatisches Leben geben. Erst durch einen Abgleich mit den biologischen Qualitätskomponenten der EU-Wasserrahmenrichtlinie (Zusammensetzung und Abundanz der benthischen Wirbellosenfauna, der Fischfauna und der Gewässerflora) kann entschieden werden, ob eine naturnahe Gewässerumgestaltung notwendig ist, um eine Verbesserung der Gewässerökologie im Sinne der EU-WRRL zu erreichen. Die Vorgehensweise bei einer derartigen Umgestaltung ist in der „Blauen Richtlinie“ (2010) praxisnah erläutert.

Neben der Gewässerstruktur ist die Durchgängigkeit der Gewässer ein zentraler Bestandteil der „Hydromorphologie“. Seit Jahrhunderten errichten Menschen Bauwerke in und an Fließgewässern, um beispielsweise die Wasserkraft zum Antrieb von Mühlrädern zu nutzen oder Land zu bewässern. Meist sind die Bauwerke quer oder schräg zur Hauptfließrichtung im Gewässer errichtet. Sie beeinflussen die Wasserführung, die Wanderbewegungen von Organismen und den Sedimenttransport. Damit ist die Durchgängigkeit von Fließgewässern eingeschränkt oder fehlt ganz.

Auf https://www.flussgebiete.nrw.de/node/859 finden sich weiterführende Informationen dazu.

Eine der Zielsetzungen der Wasserwirtschaft im Land Nordrhein-Westfalen ist es, natürliche und naturnahe Fließgewässer zu schützen und strukturell beeinträchtigte Gewässer in einen naturnahen Zustand zurückzuführen.

Zu diesem Zweck wurde die folgende Richtlinie erarbeitet und veröffentlicht:

Richtlinie für naturnahe Unterhaltung und naturnahen Ausbau der Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen ( "Blaue Richtlinie" )

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